Jesus selbst stellt sich als der Hirte vor, von dem im Psalm die Rede ist, wenn es dort heißt, dass er seine Schafe weder in den finsteren Schluchten und Tälern alleine lässt noch sie vergisst, wenn sie einen anderen Weg gegangen sind und sich von ihm entfernt haben. Er kennt sie alle, sagt Jesus hier seinen Zuhörern, ruft sie bei ihrem Namen und sie kennen seine Stimme. Für alle, die bei diesem Hirten bleiben wollen, heißt dies, seine Stimme von den vielen anderen, die uns tagtäglich umgeben, unterscheiden zu lernen.
So wie die Evangelien von den Begegnungen der Jünger mit dem Auferstandenen sprechen, weisen sie auf etwas hin, was sich wie ein Muster wiederholt und in unser eigenes Leben hineinreicht. Jesus zeigt sich unerwartet und verborgen, so dass er zunächst nicht erkannt wird. In einer schlichten menschlichen Begegnung gewahren sie, dass es „der Herr“ ist und erfahren, dass sie ihm nicht entsprechen, so dass sie nur ihre leeren Netze, ihr eigenes Unvermögen, anbieten können. Und Jesus zeigt ihnen, dass er Mensch ist und Mensch bleibt, wenn er ihnen am andern Ufer das Kohlenfeuer bereitet hat und sie erwartet.
Es gibt eine tiefe Parallelität zwischen der Verkündigung des Engels an Maria, als Jesus Mensch wird, und der Verkündigung des Engels am Morgen der Auferstehung: beide Engel sagen den Frauen „Freue dich!“ bzw. „Freuet euch!“. Und beiden folgt die Ausgießung des Geistes.
Alle, die ans Grab kamen, waren auf der Suche, allen voran Maria Magdalena, und es spiegelt sich in der folgenden Begegnung, wie sehr die Suche, die eigene Disposition, zur Voraussetzung der Begegnung mit dem Auferstandenen wird.
Das Kreuz führt uns in die wahre Freiheit, in die Freiheit zu lieben, wo wir nicht geliebt werden, in die Freiheit zu verzeihen, wo uns Unrecht widerfahren ist und in die Freiheit, die zu umfangen, die uns nicht gut gesonnen sind oder uns nicht Gutes wollen. Christus am Kreuz verkörpert diese Freiheit.
Das Kreuz zeigt so die Dimensionen der Liebe, zu der der Mensch fähig ist. Und es zeigt die Wahrheit über den Menschen vor Gott und es zeigt zugleich die ganze Liebe Gottes zu uns.
Das Beben der Erde, als Jesus stirbt, ist die Sprache der Steine, die nicht schweigen, obwohl man die Jünger und Jesus selbst zum Schweigen gebracht hat. Das Beben und die Erschütterung erfasst alle, vom Moment des Mahles an, wo die Sprache auf den Verräter kommt bis hin zum Moment des Verrats, wo Jesus selbst im Kuss des Judas zutiefst erschüttert sein muss. Jesus erbebt in der Nacht der Angst und Qual, von den engsten Vertrauten allein gelassen, und die Angst, selbst mit hineingezogen zu werden lässt auch Petrus erbeben, als er schwört und flucht, diesen Menschen nicht zu kennen. Alle, die am Wegrand der Passion Jesus begleiten und schließlich in der Nähe des Sterbenden bleiben, entgehen der Erschütterung nicht. Mit ihnen, mit den Frauen, die Jesus lieben und verehren, warten wir durch die Nacht des Karfreitages hindurch, im demütigen Vertrauen, dass das Beben schon ankündigt, dass der Tod seine Beute nicht länger festhalten kann.