Es ist zu kurz gegriffen, das heutige Gleichnis vom Weinbergbesitzer nur auf das Haus Israel zur Zeit Jesu zu deuten. Es gilt auch für uns. Der Weinberg ist der Bereich Gottes, wo Er selbst Schutz gewährt, in Liebe umsorgt und alles dazugibt, was es braucht, damit gute Früchte wachsen. Und Gott erwartet, dass es auch etwas zu ernten gibt! Wenn wir alles einsetzen, was uns anvertraut ist, wie es in den anderen Gleichnissen von den anvertrauten Talenten und vom Feigenbaum zum Ausdruck kommt, dann werden wir zu Wachstum und Fruchtbarkeit kommen. Wir sind nicht Almosenempfänger Gottes, sondern Mitarbeiter, denen etwas anvertraut wurde, das sich entfalten muss, um zur Erfüllung zu kommen.
Die Gleichnisse, die dem heutigen Sonntag vorausgegangen sind, haben den Erntedanksonntag schon vorbereitet. Es wurden uns Menschen vor Augen geführt, die immer Ja gesagt haben, die treue und fleißige Arbeiter waren, die gleich am Anfang eingestiegen sind und mitarbeiten wollten, die aber im entscheidenden Moment ihr Ja nicht aufrechterhalten und so in gewisser Weise zu einem „Nein“ werden lassen. Immer lässt sich eine Haltung erkennen, die Ansprüche stellt und die etwas erwartet, aber nicht der Haltung des barmherzigen Vaters entspricht. Wer Gott wirklich in Dankbarkeit für das begegnet, was er selbst Gutes erhält und erhalten hat, tritt ein in eine Lebenshaltung, die das Leben heilt, versöhnt und verändert.
Die Arbeiter der ersten Stunde haben ganz ungeteilt unsere Sympathie und wäre es nicht Jesus, der uns dieses Gleichnis erzählt, so würden wir ihnen gerne und ungeteilt beipflichten. Wie kann ein Arbeitgeber den gleichen Lohn für alle auszahlen, wenn die einen das Zehnfache geleistet und sich in stundenlanger Hitze abgeplagt haben? „Gott kann alles, aber rechnen kann er nicht!“, so sagt es die Hl. Theresia von Lisieux und trifft damit den Kern dieser Beschreibung Gottes, der mehr gibt als man braucht, der jedem in Fülle gibt und der in dieser Freigebigkeit nicht mehr berechnet, ob eine bestimmte Leistung vorausgegangen und erfüllt ist. Dies spiegelt sich auch in dem, was Jesus tut, wider, wenn Wein, Fische und Brot im Übermaß vorhanden sind, weit über das hinaus, was nach menschlichen Maßstäben zu erwarten oder notwendig wäre. Gott rechnet nicht ab und rechnet nicht auf, wenn er gibt, dann gibt er alles!
Das Gleichnis stellt einen König vor, der kein Problem hat, ein unermesslich hohes Vermögen zu verlieren, zu verschenken, wenn er seinem Knecht die unvorstellbare Summe von 60 Millionen Denare erlässt. Er hat also offensichtlich kein Problem, jede noch so große Schuld zu erlassen! Nur da, wo der andere, dem so viel vergeben wurde, nicht in die gleiche Gesinnung seines Herrn eintritt und seinem eigenen Schuldner, der ihm nur eine vernichtend kleine Summe schuldet, im Gleichnis 100 Denare, mit Unnachgiebigkeit und Härte begegnet und alles aus ihm herauszupressen versucht, dort wird aus der Drohbotschaft der Vergebung ein „Wehe“ über den Hartherzigen, der nicht „aus ganzem Herzen seinem Bruder verzeiht.“
Wenn Jesus von der Zurechtweisung spricht, kann dies nur im Kontext so vieler anderer Worte stehen, in denen er dazu auffordert, sich nicht über den anderen zu erheben. Zu einem hingehen, kann immer nur mit dem Ziel geschehen, ihn zurückzuführen und ihn durch den Blick unter vier Augen und mit meiner Sorge so zu lieben verstehen, dass er sich zurückgewinnen lässt. Gleich auf dieses Wort von der Zurechtweisung folgt Jesu Wort von der Lösegewalt, die er hier allen Jüngern zuspricht. Und er betont die Verantwortung, die der einzelne hat, auch durch die lösende Kraft seiner Worte, wenn er es versteht, sich unter die Lebenslast des anderen zu beugen.